Macht o_der Utopie

Das Theater als Utopie, als Gestalterin einer möglichen Zukunft, ein Spiegel der Gesellschaft.
Klingt grossartig, ist aber leider viel zu selten Realität. Viel realer ist, dass das Theater mit seinen Strukturen, seiner Hierarchie und den bestehenden Abhängigkeitsverhältnissen, mit der sensiblen künstlerischen Arbeit und Kreativprozessen sehr anfällig ist für den Missbrauch von Macht.

Zum Thema Spiel mit Grenzen haben die beiden grossen Theaterverbände der Schweiz, der SBKV und t., in den Kulturmarkt in Zürich eingeladen.
Gabriela Kaspersky hat aus ihrem aktuellen Roman Nachtblau der See gelesen, der genau diese Strukturen unter die Lupe nimmt, angeregt durch die #metoo-Debatte. Im Anschluss haben verschiedene Akteure ihre Erfahrungen geschildert oder, im Fall einer Anwältin, von Rechtsfällen und -lagen berichtet. Eine sehr eindrücklicher Abend, der viele bewegt und berührt hat, wie die verschiedensten Wortmeldungen aus dem Publikum nahelegten. Einige dürften einiges wiedererkannt haben, manchmal stockte kollektiv der Atem im Publikum ob des Gehörten.

Unglaublich eine Randnotiz eine Woche später: der Chef der Erler Festspiele in Österreich, Gustav Kuhn, wurde sämtlicher Anklagepunkte wegen sexueller Nötigung weiblicher Angestellter komplett freigesprochen. Was für eine Ohrfeige für die Frauen, die alles riskiert haben und nun ohne Engagements dastehen; eine Protagonistin, die Schweizer Sängerin Mona Somm, hatte an eben diesem Abend davon erzählt, was dem Herrn alles selbstverständlich schien, wo unsereins nur aufschreien und Stop rufen möchte.

Es ist wohl noch ein weiter Weg, bis das Theater seinen Ansprüchen und Utopien selber gerecht werden kann. Auch wenn Beispiele aus der Freien Szene hoffen lassen. Hier können Hierarchien flach gehalten werden, was bestimmt mit ein Grund dafür ist.
Ebenso lässt das ensemble-netzwerk hoffen, das sich in Deutschland formiert hat. Aus dem Einsatz einer Einzelnen, Lisa Jopt, damals Ensemblesprecherin am Staatstheater Oldenburg, ist eine gewaltige deutschlandweite Bewegung erwachsen, als hätten alle auf solch eine Initialzündung gewartet.
Und die Schweizer Theaterverbände haben einen Verhaltenskodex mit Richtlinien bei unzulässigem Verhalten, Mobbing und sexueller Belästigung am Arbeitsplatz erarbeitet.

Wir bleiben dran und spielen weiter!

17. März 2020