Juwelen-Früchte

Tokyo, Roppongi Hills, Shopping Centre

Wir sind in Roppongi, um das Toraya Café zu besuchen, eines DER Wagashi Cafés in Tokio (unbedingt eimal auf ihre Homepage gehen!). Es bietet pro Saison ca. vier themenbezogene Wagashi-Kompositionen zum Grüntee und wirkt erst einmal wie ein Showroom.


Foto: Timeout

Es gibt tatsächlich genau vier Wagashi im Angebot, alle zum Thema Kirschblüten (April!), eines ist in ein Kirschblütenblatt gewickelt 🙂 (leider nicht mit auf dem Foto)

Vis a vis entdecken wir einen Fruit Shop. Oder eher eine Fruit Exhibition – hier werden einzelne Kunstwerke ausgestellt, zu angemessenen Preisen: eine Erdbeere für 800 Yen, eine Mango für 10`800 Yen.

Wir fragen, ob wir Fotos machen dürfen. Es wird uns gestattet, ich spüre förmlich die nicht gezeigten Gedanken – ach ja Touristen aus dem Westen, denken wir spinnen, ein Vermögen für vergängliche Früchte zu verlangen. Und die Japaner kaufen sie auch noch. Eine Zuckermelone für 250 Euro, da schlucken wir aus dem Westen erst einmal.

Jetzt, wo ich das Buch von Ken Modi lese, Ikigai – Die Japanische Lebenskunst, wird darin diesen herrlichen Früchten fast ein ganzes Kapitel gewidmet. Genauer: dem Kodawari, dessen Geisteshaltung unter anderem solche phantastischen Früchte entspringen können. Zuerst hatte ich gemeint, dieser Fruit Shop in Roppongi Hills gehört zur Früchteproduzenten-Dynastie Sembikiya aus dem o.g. Buch, doch wir sind in einem Sun Fruit Shop gelandet.

Zur Sembikiya-Früchte-Dynastie gibt es einen interessanten Artikel. Wenn ich lese, dass pro Pflanze genau eine Melone gezogen wird, damit sie ihren vollen Geschmack und eine perfekte Fruchfleisch-Qualität entwickeln kann, oder jedem Apfel ein eigenes „Wasserzeichen“ am Ast verpasst wird, kann ich mir langsam vorstellen, wie es zu den im wahrsten Sinne des Wortes phantastischen Preisen kommt.

Kodawari und Ikigai

Kodawari – „Engagement, Beharrlichkeit über das Notwendige hinaus“. Unverhältnismässiger Einsatz im Kosten-Nutzen-Vergleich. Eben kein Kosten-Nutzen-Vergleich, sondern das Streben nach der eigenen möglichen Perfektion. Nicht im Sinne von Leistungsdruck, sondern zur eigenen Zufriedenheit, dem eigenen Anspruch zu genügen. Das Feld noch ein wenig besser bestellen, auf dass die Früchte noch besser gedeihen können. Den Dingen noch ein Mü mehr Aufmerksamkeit schenken. Einfach so für das eigene Seelenheil. Vielleicht in etwa so. Diese Grundhaltung begegnet mir überall im Land. Und vielleicht lässt uns dies die Japaner so zufrieden oder zumindest sich genügend erscheinen. Kodawari, einer der fünf Grundpfeiler des Ikigai, der Japanischen Lebenskunst ( man gebe bei Ecosia oder auch Google diesen Begriff ein, gehe auf Bilder, und es erscheinen zahlreiche bunte Diagramme :-).
Für sich selber einen Lebenssinn finden und ihn leben. Vielleicht auch, um mit dem eigenen Platz in der Gesellschaft nicht zu hadern und um dem Druck in der japanischen Gesellschaft standzuhalten. Aber hier werde ich wohl anmassend. Ich bin Betrachterin, Zuschauerin, die auch noch in den Genuss all der Vorzüge der japanischen Gastfreundschaft kommt.

Wie kommt es, dass viele Japaner so viel jünger aussehen als sie sind, dass die meisten so gesund wirken und ihren Platz in der Gesellschaft zu haben scheinen. Dies schreibe ich im Wissen, dass die, die keinen Platz haben, nicht sichtbar sind und verschwinden. Über solche Fragen haben sich schon eine Menge Leute die Köpfe zerbrochen, da lasse ich es hiermit gut sein.

Zu gerne möchte ich einen Film ans Herz legen, von dem ich aktuell leider nur den Trailer anbieten kann, der aber auf wunderschöne und berührende Weise vom Ikigai erzählt:

Every day a good day
„With tea, the form comes first. You put the spirit in later“, so die Teezeremonien-Meisterin Takeda zu ihrer Schülerin Noriko im Film. Die Lehrerin wird übrigens von Kirin Kiki gespielt, der alten Dame aus „Kirschblüten und Rote Bohnen“, ebenfalls ein herzwärmender Film!

 

TOKYO

Shibuya Crossing ist einfach grossartig! Egal, ob mittendrin im Getümmel – hier auf dem Foto ist noch gar nichts los, dafür konnte ein Brautpaar die Grünphase für ihr Fotoshooting nutzen, zur Rush Hour undenkbar -, ob vom Starbucks im 1. Stock oder aus dem Lift zum 25. Stock im Gebäude gegenüber – die Shibuya Kreuzung hat es mir angetan. Sei es, weil hier für einmal die Fussgänger freie Fahrt haben – ein grossartiges Gefühl! Weil die Menschen wie Ameisen wirken, und alle kommen an ihr gewünschtes Ziel, faszinierend. Besser als jedes TV- oder Waschmaschinenprogramm: Hinschauen, entspannen, abschweifen, alles ist möglich.

Nach ein paar Tagen habe ich gelernt: In Shibuya gibt es genügend Restaurants. In jedem Gebäude gleich auf mehreren Stockwerken, und dann noch mehrere Tür an Tür auf einer Etage. Es ist ein Überangebot, das erschlägt.
Qualitätsmerkmal: Anstehen! Stay-in-line scheint ein Grundwesenszug der Japaner zu sein. Fast scheint die Regel zu gelten, wo man nicht anstehen muss, muss man auch nicht anstehen.
Auch am Mittag gilt dies: wir werden von einer Japanerin zu DEM Pancake-Restaurant gelotst, auf das wir nie aufmerksam geworden wären. Nach nur einer halben Stunde können wir Platz nehmen und erleben die fluffigsten und köstlichsten Pancakes. Ich kann nun etwas mehr nachvollziehen, warum sich jemand aus Hongkong extra für diese Pancakes auf den Weg nach Tokyo macht …

Apropos Anstehen: mein Rekord liegt bei zwei Stunden: in Wajima auf der Noto-Halbinsel. Zwei Stunden, bis wir realisieren, dass die meisten Leute wegen der Fugu-Bowl anstehen – dem Fisch mit der berühmten Giftblase. Gekocht scheint er einiges weniger giftig zu sein. Vor Wajimas Küste wird fast der gesamte Fugufisch für Japan gefangen. Da sollte man sich gut auskennen …
Keine Fugu-Bowl, dafür eine Noto-Bowl mit frischen Meeresfrüchten und Seeigel und, zuvor, als Gruss aus der Küche: Garnelenhirn.

Über Harajuku in Tokyo höre ich, dass es in so festen Händen der Jugend sein soll, dass es unmöglich ist, dort Haarfärbemittel in „normalen“ Farben zu kaufen, also nicht blau, pink, grün, sondern nussbraun, mahagonibraun, kastanienbraun …
Und ja, die Läden hier sind definitiv für ein junges oder sich jung fühlendes Publikum. Oder auch für ihre geliebten Vierbeiner, ganze Läden voller Haute Couture für Hund und Katze gibt es hier. Überhaupt die Vierbeiner. Bald an jeder Ecke ist ein Geschäft mit knuddeligen Hunde- und Katzenbabys zum Anfassen und Kaufen. Nach Ladenschluss kommen sie dann in winzige Glasterrarien. Je schicker ein Viertel, desto mehr Hunde werden dort Gassi gefahren. In ganz Tokio gibt es weit mehr Hunde im Buggy als Kinder.

Ein lustiges Erlebnis in der Cat Street in Harajuku: Lunchtime im schicken Riceburger-Restaurant. Hochmodern – hier kann man nur bargeldlos zahlen! Nach dem Essen reiche ich die Kreditkarte an die Kasse, und dann beginnt das Warten. Ein zweiter Mitarbeiter wird dazugeholt, dann der Chef, und wir warten weiter. Nach langen Minuten erhalte ich die Karte zurück mit dem wunderbaren Kommentar: very high-technology-card! Oh wie schön ist das 😉

Im Yoyogi Park in Tokyo fand der Earth Day 2019 statt, eine Veranstaltung mit Infoständen von NGO`s, Marktständen, Workshops und Konzerten auf grosser Bühne und einem Stand, der sich für die Ent-satzung der US-Armee auf Okinawa einsetzt. Die Anti-Atombewegung, die sich nach Fukushima formiert hat, habe ich nicht entdecken können. Demonstrieren und kollektiv in der Öffentlichkeit seine Meinung kundtun, sind in der japanischen Gesellschaft längst nicht so verankert wie im Westen, habe ich den Eindruck.

 

SUMO

Wir haben Glück, es ist Sumo Tournament in Tokyo. Die offiziellen Tickets sind bereits an Tag 1 des Onlineverkaufs  vergriffen. Vom Kauf im Internet wird abgeraten, es sind auch saftige Preise, weit über dem ursprünglichen Preis. Und wie wir später sehen werden, muss man auch nich unbedingt in der ersten Reihe sitzen, wenn man nicht gerade einen, oder auch zwei, gestandene Sumoringer auf seinen Schoss gekugelt haben möchte …

Also stehen wir morgens kurz nach Tagesanbruch auf, das ist in Tokyo etwas mit einer 4 vorne in der Uhrzeit. Die Stadt sieht wunderschön aus zu dieser Tageszeit, und ist richtiggehend friedlich.

Die ersten sind wir aber bei weitem nicht. Es gibt bereits eine lange Schlage für die Tagestickets, für die irgendwann vor 8 Uhr Nummern an die Wartenden verteilt werden. Und nur an die Wartenden, auf dass nicht auch hier noch blühender Handel betrieben wird. Wir haben die Nummern 101-105.

Ebenfalls einiges vor 8 Uhr erscheinen die ersten Sumoringer – der Nachwuchs muss bereits ab 8.30 Uhr die ersten Ringkämpfe bewältigen.

Richtig voll wird es erst zu den letzten Kämpfen des Tages, wenn die Grossmeister im Ring erscheinen.
Zuerst werden alle Sumoringer einer Gruppe aufgerufen und versammeln sich am Ring.

Danach werden die Ringer mit den Sponsoren aufgerufen und ihre Sponsorenfahnen in den Ring getragen, der Rekord lag bei gut 20 Fahnen. Bei einem Sieg erhält der Ringer pro Sponsor 30.000 Yen, das Siegergeld wird ihm gleich nach dem Kampf vom Schiedsrichter in weissen Kuverts überreicht. Wer keinen Sponsoren hat, geht leer aus und muss darauf hoffen, mit seinem Sieg erste Sponsoren zu gewinnen.

Die längste Zeit eines Kampfes geht für die Vorbereitung drauf – ein zelebriertes Taktieren, Imponieren und gestenreiches Salzstreuen im Ring.

Der eigentliche Kampf geht meist kaum eine Minute, wenn überhaupt, und kann schon mal für einen oder auch beide Ringer in besagten Schössen von Zuschauern der ersten Reihe enden. Eine grossartige Show!
Einmal pfiff der Schiedsrichter ab, beide Ringern mussten im Freeze ausharren, dann zupfte der Richter ihre Schurze zurecht, dann wurde weitergekämpft.  Und jeder Moment wird begleitet von Rufen und Anfeuern der Zuschauer in einer rappelvollen Halle.

Zwischendurch wird der Ring immer wieder hergerichtet und zurechtgefegt.

Das grosse Dach über allem ist das des Ise-Schreins, dem Hauptschrein im Shintoismus – Sumo ist eine rituelle Handlung des Shintoismus. Entsprechend dürfen Frauen nicht in den Ring, weder als Sumo-Ringerin noch als Richterin oder Würdenträgerin. Eigentlich – denn es gibt erste Wettkämpfe mit weiblichen Sumoringerinnen! Allerdings nur in der Amateurliga, bei den Profis und somit in den „heiligen Hallen“ sind sie weiterhin nicht zugelassen. Ob Sumo, für beide Geschlechter, nächstes Jahr zur Olympia in Tokyo als Disziplin zugelassen wird, was der Verband anstrebt, war noch nicht in Erfahrung zu bringen.

Neben dem Meji-Schrein (tatsächlich ohne grosse Souvenir-Anlange, wunderschön mitten im Park mitten in Tokyo!), nach Ise dem zweitwichtigsten Schrein im Shintoismus, gibt es auch einen wichtigen buddhistischen Tempel in der Stadt:
Den Senso-ji Tempel in Asakusa, berühmt für seine riesigen Laternen und Torwächter am Eingang des Tempelgeländes.

Der Eingang ist allerdings nur am frühen Morgen nicht von Menschenmassen umringt, ebenso wie die Souvenirstrasse, sie öffnet erst am späteren Morgen.

Souvenirstrassen oder-gassen sind immer da, bei grossen Tempeln wie auch bei Schreinanlagen (ausser beim Meji Schrein ;-). Hier kann man sich mit allem Möglichen versorgen und verköstigen, sehr praktisch. Überhaupt sind die Tempel- und Schreinanlagen ganz anders als z.B. Kirchen oder Klöster, wie wir sie kennen. Das Treiben macht sie sympathisch nahbar und lebendig.Viele Japaner fühlen sich sowohl zum Buddhismus als auch zum Shintoismus zugehörig, nach dem Motto: im Leben Shintoist, im Sterben Buddhist ( arg knappe Kurzfassung).

Kein heiliger Ort in Tokyo, dafür ein kleines feines Museum, das die Teekultur zelebriert, das Nezu Museum:

… mit einem riesigen Garten dazu, der verschiedene Höhepunkte der japanischen Gartenkunst in Miniatur zitiert oder auch einfach nur wunderschön grün ist:

Ein würdiger Abschluss für Tokyo: