Toggenburger Tagblatt, 10. März 2014
Ritalin – hopp und ex, dann geht`s schon

Mutter gibt die Pille nicht ihren quengelnden Kids, nein, sie schluckt sie gleich selbst. Es erhöhe die Konzentration, meint sie, und die braucht sie, wenn sie den Tag durchstehen will. Der Tag: Das ist die 24-Stunden-Umsorgung der Kinder und ein Mann, der sich entzieht. Ein Klischee? Vielleicht. Am Internationalen Tag der Frau soll die Frau, die Gattin, die Mutter hochgehalten werden, und was eignet sich da besser, als auf ihre täglichen Mühen hinzuweisen.

Stück auf mehreren Ebenen

Katrin Segger und Frauke Jacobi vom Theater Topoï:Log aus Zürich machen das in ihrem Stück „Mutter:Glück oder Mother`s little helper“ gleich auf mehreren Ebenen. Dreifach ineinander geschachtelt spielen die beiden Darstellerinnen Szenen aus dem jungen Mutterleben. Segger zitiert Texte der Autorinnen Charlotte Roche, Maria Sveland und Birgit Vanderbeke, derweil Jacobi der Part der Führung zweier Puppen, die Kinder darstellend, zukommt. Am Familientisch sitzt auch ein Mann, doch der ist bezeichnenderweise eine Schaufensterpuppe. Ein Mann, der nichts sagt, keine Meinung hat, eigentlich gar nicht da ist, berufsbedingt, und sich elegant aus der Affäre, aus allen Affären zieht. Noch so ein Klischee.

Symbolstrotzende Affiche

Topoï:Log gastierte am Samstag anlässlich des Internationalen Tages der Frau im Chössi-Theater. Trotz der symbolstrotzenden Affiche wollten dem fünfviertelstündigen Zwei-Frauen-Stück nur gut drei Dutzend Frauen und ein halbes Dutzend Männer beiwohnen. Doch nicht den nicht erschienenen Frauen hätte das Stück zu Erkenntnissen dienen können, sondern den ausgebliebenen Männern. Humorvoller und dennoch frappanter kann ebendiesen die Zeit, nachdem plötzlich ein drittes Wesen die traute Familie und deren Gemütsverfassung belebt, nicht dargestellt werden. Vielleicht ist dies auch ein Klischee: Die Mutter, die ob der Mühen mit der Erziehung, der Sorge um Kinder und Mann, beinahe an den Rand des Wahnsinns gerät. Segger (die selbst zwei Kinder im Primarschulalter hat) und Jacobi spielten mit viel vordergründiger Komik – doch dem Publikum blieb ob des Hintergrunds bisweilen der Atem im Hals stecken.

Gestorben und wieder geboren

Postnatale Depression? Verloren gegangene Wünsche, geplatzte Lebensträume, partielle Selbstentfremdung? Glücklicherweise vergeht die Zeit sehr schnell. „Was, ein halbes Jahr ist schon um? Mir ist es, als wäre ich gestorben und wieder geboren.“ Doch dieses halbe Jahr war äusserst lebendig. Nur hat die Mutter nicht gelebt, sondern war für ihre Familie da. Um das durchzustehen, helfen gute Ratschläge aus der Umgebung und das Vertiefen von einschlägiger Literatur nicht. Da muss die chemische Keule her: Ritalin. Doch nach dem quantitativen Höhepunkt von 18 Pillen pro Tag erreicht auch die Chemie nichts mehr. Die Mutter ist psychisch tot. Ihrer Seele bleibt die Liebe zum Kind, aber nur, wenn es schläft. Und die Schaufensterpuppe? Die wartet darauf, dass endlich ein Internationaler Tag des Mannes ausgerufen wird. Damit er mal tüchtig jammern kann. Michael Hug

 

 

Der Landbote, 5. April 2013
Die Mutter hat glücklich zu sein

„Ich dachte, bevor so ein Kind geboren wird, sollte man höflicherweise die Wohnung putzen.“ so eröffnet die Mutter ihre Erzählung. Der Wohnungsputz entwickelt sich zur kompletten Reorganisation nicht nur der Wohnung, sondern des ganzen Alltags und des bisherigen Lebens. Was alles zieht das Mutterglück nach sich? Was bedeutet es, Mutter zu werden in einer modernen Welt, wo Kinder Wunschkinder sind und man den Zeitpunkt des Mutterwerdens in die Karriereplanung mit einbezieht? Das Theater Topoï:Log spürt diesen Fragen in seiner neuesten Produktion „Mutter:Glück“ nach. Es tut dies mal ironisch, mal entlarvend, und doch letztendlich versöhnlich. Heute feiert das Stück im Theater am Gleis Premiere.

Die Mutter hat glücklich zu sein. Sie hat einen festen Partner, muss nicht arbeiten, darf für sich und das Kind alles kaufen, verbringt den Tag in Cafés und bei Sonne im Park. Die perfekte Mittelstandsidylle, so scheint es. Und doch schleichen sich Dämonen in die harmonisch TV-Welt ein. Langeweile, Erschöpfung und die Versagensangst heissen die bösen Geister, welche die junge Mutter immer häufiger heimsuchen. Das Stück lässt sie den bizarren Irrsinn kommentieren – wenn sie denn nicht gerade von ihrer Familie lauthals übertönt wird.

Die Mutter bleibt anonym, sie ist als Person unsichtbar geworden und nur noch Mutter. So ist sie denn hier auch nicht nur eine einzige Figur. Anhand von Texten von Charlotte Roche, Maria Sveland und Birgit Vanderbeke (Textfassung und Regie: Hannes Rudolph) nähert sich Katrin Segger in immer wieder neuem Anlauf dem Mythos des Mutterglücks.

Übermutter dank Ritalin

Wie ein Leuchtturm steht über dem Ganzen die Geschichte einer Apothekerin, welche die Mutter in einem Magazin las. Jene Frau griff kurzerhand zu Ritalin, um neben ihrer Apotheke auch einen Haushalt mit zwei Kindern und den Vorstand der Kirchenpflege zu führen und sich ausserdem mittels Fachliteratur in Philosophie weiterzubilden. „Die liest Nietzsche und Kant“, meint die Protagonistin fassungslos ob dem Portrait der Übermutter. Daneben die ritalinfreie Bühnenrealität: Die Nachbarn beschweren sich über das Babygebrüll in der Nacht, der Tag versumpft über dem dritten Kaffeetreff mit Freundinnen in Langeweile, der Mann kann das zehnwöchige Projekt in der anderen Stadt nicht ablehnen. Und die Ratgeberliteratur macht einem deutlich, dass man es prinzipiell falsch macht – mit allem was man tut und auch wenn man es nicht tut.

Katrin Segger spielt die Mutter hervorragend vielseitig und nahbar, einfühlsam und komisch. Dass das Stück nicht zur ungestörten Soloperformance wird, ist das Verdienst einer ganzen Puppenfamilie. Tischen, Kochen, für die Schule lernen und dann auch noch mit dem Ehemann tanzen: die Puppen, geführt von Frauke Jacobi, sorgen dafür, dass es der Mutter nicht langweilig wird.

Kurzweilige Parodie

Das Stück nähert sich der Thematik auf vielseitige und kurzweilige Art. Einzelne Episoden werden geschickt aneinander gehängt und bieten dem Zuschauer gleichzeitig Raum zum Weiterdenken. Es kommt dem Stück zugute, dass es nicht anklagt, sondern nur parodiert. Es entlarvt Muster des Mutterglückes und schaut hinter die Fassade der glücklichen Kleinfamilie. Denn die ersten Monate des Elternseins, so erklärt die Protagonistin, seien Krieg. Wie man diesen überlebt hat, weiss am Schluss niemand so genau. Aber die Mutter sieht das zufrieden am Schnuller nuckelnde Kind und ist nun trotz allem glücklich.
Claudia Peter